Fachtagung zur DDR-Diktatur in Schwerin eröffnet

Landesbeauftragter J.Mothes und Kultusminister H.Tesch hielten Eröffnungsreden

Die Fachtagung „Aufarbeitung von Diktatur-Vergangenheit im internationalen Vergleich“ begann heute am 3.Juli 2008 im Veranstaltungsort „Rittersaal“ in Schwerin.

J.MothesJörn Mothes, der aus dem Amt scheidende Landesbeauftagte für die Stasi-Unterlagen, jedoch an anderer Stelle in Sachen „DDR-Geschichte“ bestimmt „reloaded“ wird, eröffnete die zweitägige Veranstaltung am Vormittag.

H.TeschAuch Kultusminister Henry Tesch war zur Veranstaltung geeilt, um ebenfalls sein Grußwort zu übermitteln, dabei vergaß er – zu Recht – auch nicht, „Uns Jörn“ für ein erfolgreiches Jahrzehnt in seiner Funktion zu danken.
„Uns Jörn“ war dabei mindestens so „treffsicher“ wie „Uns Uwe“ Seeler, der Hamburger Fußballer, nur dass bei ihm das Zusammenspiel mit zwei weiteren „Akteuren“, besser gesagt Institutionen, dem Kultusministerium unter Minister Tesch oder der Landeszentrale für politische Bildung unter J.Schmidt (fast) ebenso reibungslos klappte.

10 Jahre Jörn Mothes als Landesbeauftragter – das waren auch 10 Jahre geschichtswissenschaftliches Engagement, viele Publikationen zur Tätigkeit der DDR-Staatssicherheit,  kompetente soziale Beratung der SED-Opfer, informative und abwechslungsreiche Veranstaltungen zur zweiten deutschen Diktatur und ständiges Mahnen, die DDR-Widerstandskämpfer und –Unangepassten nicht zu vergessen.

Jörn Mothes hob zu Beginn der Fachtagung noch einmal die Notwendigkeit der Aufarbeitung der DDR-Diktatur hervor, unterstrich den rationalen Zugang zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, trotz aller Emotionen und persönlicher Verletzungen, und hob hervor, dass es Anliegen der Fachtagung sei, die Erfahrungen und Erkentnisse bezüglich der Auseinandersetzung und Bewältigung mit den Folgen totalitärer Herrschaft  in anderen Staaten, z.B. in Osteuropa oder in Lateinamerika, mitzuberücksichtigen.

So wird Jelena Schemkowa, Direktorin Memorial Moskau, zur Vergangenheitsaufarbeitung in Russland berichten. Dr.Peter Birle, Leiter der Forschungsabteilung des Ibero-Lateinamerikanischen Instituts Berlin, wird zur Vergangenheitspolitik in Lateinamerika referieren.

DDR-Außenminister a.D, der Vorsitzende des Stiftungsrates der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und einer der Sozialdemokraten „der ersten Stunde“ in der damaligen SDP in der DDR 1989, Markus Meckel, konnte in seinem Vortrag „Vergeben und vergessen ? – Die Aufarbeitung der SED-Diktatur im Kontext der osteuropäischen Erfahrungen mit den Folgen kommunistischer Gewaltherrschaft“ persönliche Erfahrungen und Erlebnisse einbringen .

Einen besonders bewegendes, informatives und gut recherchiertes Referat zum Themenbereich „Vergangenheit im Spiegel der Justiz – strafrechtliche Aufarbeitung von DDR-Unrecht in M-V“ hielt die erste Rednerin des Tages, die 31jährige Politikwissenschaftlerin Lena Gürtler.
Sie nannte schlimme Einzelschicksale in der DDR vor 1990 und machte so den maßgeblichen Einfluß der SED-Machthaber und ihres Staatssicherheitsdienstes auf das Zerstören und Verbiegen von Lebenswegen in der damaligen DDR deutlich.

In der Diskussion wies der DDR-Bürgerrechtler, Autor, Theologe und Christdemokrat Erhart Neubert auf die Unzulänglichkeiten der bundesdeutschen Justiz bei der strafrechtlichen Ahndung der politisch und ideologisch motivierten Verbrechen in der DDR hin.

Und Dr.Kazimierz Woycicki, ehemaliger Direktor der Abteilung Stettin des Institutes für Nationales Gedenken und selbst Referent zur Thematik „Die polnische Abrechnung mit der Geschichte nach 1989“ pflichtete ihm bei: „Ihr Deutschen hattet doch schon Erfahrungen mit der Aufarbeitung der Nazi-Diktatur. Mich verwunderte schon, dass ihr die gleichen Fehler wieder gemacht habt, obwohl Ähnliches auch bei uns passierte. Aber wir hatten in der Aufarbeitung einer Diktatur noch keine Erfahrungen.“.

EXKURS

 
Vor fünf Jahren starb der engagierte und streitbare Publizist sowie letzte Leiter des „SPD-Ostbüros“, Helmut Bärwald

H.BärwaldEiner der engagiertes Kämpfer für die deutsche Einheit, als diese immer mehr zu bloßen Lippenbekenntnissen westdeutscher Politiker aller Lager „mutierte“, war der 1928 in Leipzig geborene Helmut Bärwald.  

Nach 1945 erkannte er schon früh den menschenverachtenden Charakter der sich etablierenden kommunistischen Diktatur. So war Helmut Bärwald, der aufgrund seiner antikommunistischen Gesinnung 1946 in Leipzig nicht zum Studium zugelassen wurde, 1947 zunächst Mitglied der Liberal-Demokratischen Partei, suchte aber schnell Kontakt auch zum SPD-Ostbüro, der gesamtdeutschen Widerstandsbewegung der SPD gegen die kommunistische Diktatur in der sowjetischen Besatzungszone/DDR.

Da eine Verhaftung durch die sowjetische Militäradministration drohte – Folge seines mutigen demokratischen Einsatzes – mußte Helmut Bärwald 1948 nach Westdeutschland flüchten.
In seiner Tätigkeit für das SPD-Ostbüro in den 1950er und 1960er Jahren vergaß er nie das Schicksal der Landsleute in der DDR. Er setzte sich für die politischen Häftlinge, ließ Informationsschriften z.B. über die Verbrechen der SED in der DDR, verteilen und bekannte sich stets offen zum Ziel einer demokratischen Vereinigung der beiden deutschen Staaten.
Von 1966 bis 1971 war Helmut Bärwald Leiter des „Referates für gesamtdeutsche Fragen“ (So nannte sich das SPD-Ostbüro auf Beschluss des SPD-Parteivorstandes ab 1966.).

Beim Parteivorstand der SPD war Helmut Bärwald insbesondere für Sicherheitsfragen zuständig, insbesondere die kommunistischen Infiltrationen in gesellschaftlichen Organisationen der Bundesrepublik kritisierte er.

Helmut Bärwald begleitete die „neue Ostpolitik“ der sozial-liberalen Bundesregierung kritisch. 1971 verließ er die SPD – ein Verlust, den die SPD nie richtig kompensieren konnte.
Helmut Bärwald blieb bis zu seinem Tod 2003 ein streitbarer und aktiver Publizist, der seine Aufgabe darin sah, den Kommunismus als eine der verbrecherischsten Herrschaftsformen der Menschheitsgeschichte zu entlarven.

INFO: Für das SPD-Ostbüro waren ab 1946 viele Sozialdemokraten auch in M-V aktiv. Kontaktleute des SPD-Ostbüros in Mecklenburg-Vorpommern waren u.a. Günther Feldmeth,  Ernst Sodeikat, Franz Ballerstaedt, der Schweriner Bürgermeister Albert Kruse, Heinrich Beese, der Rostocker Oberbürgermeister Albert Schulz, Max Fank, Otto Kortüm, Berthold Christiansen, Willi Klapproth, Willi Visser, Hennig von Kos sowie Helmut Hiller, der in Schwerin lebte.

Auch viele dieser Sozialdemokraten wurden verfolgt, bespitzelt und inhaftiert.

M.Michels

F.: M.M. (1), Kultusministerium (1), H.B. (1)

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