Interview mit dem Integrationsbeauftragten Dimitri Avramenko

„Wunsch zum gemeinsamen Kennenlernen in einer Stadt mit guter Zukunft !“

„Jeder deutsche Gewalttäter soll wissen, daß er uns fremder ist als jeder friedfertige Fremde.“, meinte treffend der berühmte deutsche Lyriker Reiner Kunze.

Offenheit, Toleranz, Verständnis und Aufrichtigkeit sind auch in Schwerin gefragt, denn diese Stadt wird nur dann eine erfolgreiche Zukunft, eine Chance im globalen Wettbewerb haben, wenn es gelingt, Menschen verschiedener Religionen, verschiedener Herkunft zu einem gemeinsamen Handeln und konstruktivem Miteinander zusammenzuführen.

Schwerin ist dabei in den letzten Jahren – zunächst dank Annette Köppinger, dann dank Dimitri Avramenko, dem amtierenden Integrationsbeauftragten in Schwerin – auf einem guten Weg.

Noch immer gibt es Vorurteile, Kleingeistigkeit, aber immer mehr Menschen in dieser Stadt, ob alte oder neue Schweriner, ganz gleich woher sie stammen, wollen mehr übereinander wissen, sich kennen lernen …

Schwerin-News sprach darüber mit Dimitri Avramenko, dem Integrationsbeauftragten der Stadt Schwerin

> Frage: „Wer einander kennen lernen will, muß neugierig sein und aufeinander zugehen !“, lautet ein weises Sprichwort. Gibt es diese Neugier, diesen Wunsch zum gemeinsamen Kennenlernen zwischen Menschen verschiedener Religionen und Kulturen ebenfalls in Schwerin ?

DA– Dimitri Avramenko: Diesen Wunsch gibt es durchaus. Ein Beispiel dafür ist die Arbeitsgruppe „Interreligiöser Dialog“, dessen Mitglieder aus den katholischen und evangelischen Gemeinden, der jüdischen Gemeinde und der islamischen Gemeinde kommen. Sie treffen sich nicht nur regelmäßig in einer guten Atmosphäre, sondern tauschen sich darüber hinaus zu unterschiedlichen Fragen aus.

Der Wunsch zum Kennenlernen von Menschen unterschiedlicher Religion zeigte sich in Schwerin beispielsweise am ersten Tag der offenen Tür der neu erbauten jüdischen Synagoge, zu dem rund 1 000 Besucher kamen.

Zudem wird dieser Gedanke des Kennenlernens in Schulen und kulturellen Einrichtungen in Vereinen und Verbänden lebendig gepflegt. Als jüngstes Beispiel sei die Konzertveranstaltung zum Internationalen Frauentag genannt. Das Deutsch-Russische Kulturzentrum Kontakt e.V. und das Konservatorium gestalteten zusammen das Programm und im Saal waren sehr viele Interessierte;  Einheimische und Migranten waren gekommen.

Aber ebenso ist klar, dass sich noch nicht alles nach unseren Vorstellungen entsprechend entwickelt. Die gegenwärtige wirtschaftliche Situation bietet nicht gerade die besten Voraussetzungen für ein Aufeinanderzugehen. Das trifft insbesondere für die Schweriner Stadtteile zu, in denen die Konzentration von Menschen mit Arbeitslosigkeit, Einheimischen und Migranten besonders hoch ist. Die Stabilisierung von Nachbarschaften und die Sensibilisierung von gegenseitigen Interessen stellt dabei eine der besonderen Herausforderungen für ein Gelingen der Integration dar.

> Frage: Ihre Vorgängerin Annette Köppinger war eine engagierte Power-Frau, die ihre Tätigkeit mit viel Herzblut, mit viel Leidenschaft ausübte. Wie beurteilen Sie – im Rückblick – die Tätigkeit von Annette Köppinger für die Integration der neuen Schwerinerinnen und Schweriner, ganz gleich woher sie stammten ?

AK– Dimitri Avramenko: Menschen, die sich aufopferungsvoll für andere in Not einsetzen, verdienen einen höchsten Respekt. Alle, die Frau Köppinger kannten, wissen, dass ihr die Nöte und Sorgen von Migranten besonders am Herzen lagen, auch ich werde sie so in Erinnerung behalten.

> Frage: Im Sport funktioniert die multikulturelle Gesellschaft. Fast jeder Fußball-Klub ist heute ein multinationaler Verein. Aus Ihrer persönlichen Sicht: Warum klappt vieles, was im Sport klappt, im Alltag der Menschen nicht ? Warum stößt der multikulturelle Gedanke in der Praxis immer noch auf enge Grenzen, insbesondere in den Köpfen der Menschen ?

– Dimitri Avramenko: Im Sport ist vieles verständlicher und die Regeln sowie die Ziele sind klar und deutlich definiert. Am Ende eines Wettstreites gibt es etwas zu gewinnen. Damit das gelingt, muss das ganze Team, egal mit welchem kulturellen Ursprung jedes einzelnen in der Mannschaft, gut funktionieren.

Und nach 90 Minuten Spiel, wie im Fußball, wird entweder gefeiert oder getrauert, aber immer zusammen. Für viele Menschen unserer Gesellschaft gehört auch Sport, und insbesondere der Breitensport zum Alltag.

Da die multikulturelle Gesellschaft dort funktioniert, spiegeln sich diese Erfahrungen sehr oft auch im normalen Alltagsleben wieder. Allerdings ist unser Leben viel komplexer und vielseitiger. Und je mehr Unterschiedlichkeiten dabei vorhanden sind, um so größer sind die zu bewältigenden Herausforderungen.

Diesbezüglich sind wir schon bei Integration, die sich aus meiner Sicht als eine dauerhafte gesellschaftliche und politische Aufgabe darstellt, an deren Bewältigung nicht nur Zuwanderer und Menschen mit Migrations-Hintergrund mitwirken, sondern die gesamten Mitglieder der Aufnahmegesellschaft, u.a. Institutionen, Ämter, Einrichtungen und die einheimische Bevölkerung.

Ich habe in den vergangenen Jahren in meiner Tätigkeit als Stadtteilmanager erste Fortschritte erlebt. So saßen vor fast sieben Jahren im ehrenamtlichen Redaktionsteam der Stadtteilzeitung „Schweriner Turmblick“ Menschen mit Migrationshintergrund und Einheimische zusammen an einem Tisch und arbeiteten konstruktiv zusammen.

IBAuch auf Stadtteilfesten wuchs das Verständnis füreinander. Als Integrationsbeauftragter der Landeshauptstadt bemühe ich mich durch meine Arbeit dazu beizutragen, dass Integration vorankommt und mir liegt dabei sehr daran, dass Vorurteile abgebaut werden. Es wurde begonnen, mit den Ortsbeiräten der einzelnen Stadtteile Kontakt aufzunehmen, Integration war Thema einer Einwohnerversammlung in Neu Zippendorf, und zu meiner Sprechstunde im Stadtteilen kommen Migranten und Einheimische.

Ich habe mich dieser Tage sehr gefreut, dass eine kulturelle Gruppe aus Schwerin, die bisher nur aus Einheimischen besteht, sich im Netzwerk Migration vorstellte und seine Offenheit für Menschen mit Migrations-Hintergrund bekundete.

> Frage: Jedes Jahr gibt es eine multikulturelle Woche in Schwerin. Sind diese Wochen noch zeitgemäß ? Viele junge Ukrainer, Russen, Iraker oder Deutsche verbinden damit zumeist viel Folklore und Volkstümelei – nicht gerade „cool“ oder „trendy“ in Zeiten der ungezügelten Globalisierung. Wie ist dazu Ihre Meinung ?

– Dimitri Avramenko: Es geht nicht um die interkulturellen Wochen an sich, sondern über ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit und zwar nicht nur in Schwerin, sondern bundesweit. I

Ich freue mich, dass in der letzten Zeit zu deren Selbstverständnis und Funktion allmählich ein Paradigmenwechsel stattfindet. Folklore und verschiedene Traditionen gehören halt zur Interkulturalität und bereichern unsere bunte Bundesvielfalt.

Deswegen wäre es zu schade, wenn diese gute Stimmung fördernden Erlebnisse nur während der Interkulturellen Wochen zu haben wären. Gott sei Dank es ist nicht der Fall. Es gibt genug Anlässe während des gesamten Jahres,um diese Vielfalt erleben und genießen zu können.

In diesem Kontext sind Interkulturellen Wochen nicht nur zeitgemäß, sie haben auch nichts an ihrer Bedeutung verloren. Denn sie sind für uns eine Gelegenheit,  Erreichtes öffentlich darzustellen, kritische Diskussionen zu führen, aber auch dadurch den Menschen die kulturelle Vielfalt näher zu bringen.

CIOFFDem Ziel, die Integration zu fördern, dient eine weit reichende Palette von Veranstaltungen. Wenn ich auf die vergangene Interkulturellen Woche zurück blicke, so hatten wir ein Sportfest der fünf Schweriner Stützpunktsportvereine, eine Gesprächsrunde Religiosität heute, einen Vortrag über Gambia, ein Turnier in einer slawischen Sportart, Vorstellung von Bildungswegen in Deutschland, eine Fachtagung zum Thema Arbeit, einen interkulturellen Familiennachmittag, einen Tag der offenen Moschee und viele andere Veranstaltungen, die zum Abschluss durch ein abwechslungsreiches  Fest der Kulturen abgerundet wurde.

Am vergangenen Dienstag hatten wir im Netzwerk Migration die erste Zusammenkunft zur Vorbereitung der diesjährigen Interkulturellen Woche, die vom 27. September bis 3. Oktober unter dem Motto „Misch mit!“ durchgeführt wird.

Für das Gelingen des Zusammenlebens ist es von entscheidender Bedeutung, dass Migrantinnen und Migranten in allen Lebensbereichen teilhaben und mitgestalten können. Dabei stehen solche Fragen wie die gesellschaftliche und politische Teilhabe, die Teilhabe und Chancengleichheit in Bildung, Ausbildung und am Arbeitsmarkt, die Bekämpfung von Vorurteilen und Rassismus sowie Fragen der Flüchtlingspolitik im Mittelpunkt.

Wir hatten beim ersten Treffen rund 40 Vertreterinnen und Vertreter  von Vereinen, darunter auch Migrantenvereine, Verbänden, Institutionen, Bildungsträgern am Tisch, die eine Anzahl von Ideen für die Gestaltung der kommenden  Interkulturellen Woche mitgebracht haben.

DA> Frage: Die meisten jungen Schweriner, unter ihnen auch viele gut ausgebildete Migranten oder Spätaussiedler, verlassen Schwerin bzw. Mecklenburg allgemein wegen der unsicheren sozialen und beruflichen Perspektive hierzulande. Trotz aller positiven BUGA-Schlagzeilen: Wie beurteilen Sie die Zukunft Schwerins ?

– Dimitri Avramenko: Sicherlich ist die Arbeitsmarktsituation in Schwerin generell für junge Leute nicht einfach. Jugendliche Ausländer und Spätaussiedler haben dabei eine spezifische Ausgangssituation.

Es kommt darauf an, für sie die Voraussetzungen zu schaffen, dass sie hier nicht nur eine Ausbildung absolvieren, sondern anschließend hier eine Arbeitsstelle finden. Darum freue ich mich, dass es für den Bereich Bildung und Arbeit bereits unterschiedliche  Projekte gibt. Seit zwei Jahren hat die Kreishandwerkerschaft in Schwerin „Handis“ ins Leben gerufen, handwerksorientierte berufliche Integration jugendlicher Spätaussiedler in Westmecklenburg.

Auf der Fachkonferenz, an der ich teilnehmen durfte, wurden erfreuliche  Ergebnisse präsentiert: 184 junge Menschen nahmen an dem Projekt teil. 38 kamen in eine betriebliche Ausbildung in Handwerks- und IHK-Berufe, 34 Teilnehmer kamen in eine außerbetriebliche Ausbildung, 11 Teilnehmer in Arbeit und einige Teilnehmer wurden in ein Studium vermittelt. Solche und andere Projekte haben das Ziel, jungen Menschen mit Migrations-Hintergrund hier in Schwerin eine dauerhafte Perspektive zu vermitteln.

DAEine ganz neue Initiative hat das Ziel, Flüchtlinge in Arbeit zu bringen.
Die künftige demografische Entwicklung lässt erwarten, dass der Bedarf an Arbeitsplätzen steigt.

Die Bundesgartenschau vom 23. April bis 11. Oktober wird ein Höhepunkt für Schwerin sein. Die Landeshauptstadt wird sich als ein guter Gastgeber präsentieren und Gäste aus der Nähe und Ferne anziehen. Ich freue mich, dass an der Vielzahl der Veranstaltungen Migrantenvereine aus Schwerin mit ihrem Programm vertreten sind. Das werden wir auch im kommenden Jahr beim 850-jährigen Stadtjubiläum tun. Schwerin kann mit seinen Pfunden wuchern. Ich bin davon überzeugt, dass Schwerin eine gute Zukunft hat.

Die Fragen stellte: Marko Michels.

Übrigens: Am 15.April findet eine Veranstaltung zur Thematik „Integration – was geht mich das an ?“ im neu eröffneten Stadtteil-Treff „Eiskristall“ statt. Mehr Infos gibt es dazu demnächst auch hier bei Schwerin-News.

F.:

1.Dimitri Avramenko, Integrationsbeauftragter der Landeshauptstadt Schwerin. (Stadt Schwerin)
2.Annette Köppinger prägte das Amt des Integrationsbeauftragten zwischen 1991 und 2007 weit über die Grenzen Schwerins. Sie war eine engagierte Kämpferin für Demokratie, Toleranz und echtem Miteinander. Im Dezember 2007 starb sie. (Turmblick)
3.Der Internationale Bund in Schwerin in der Kepplerstrasse. Hier wirkte auch Dimitri Avramenko. mm / 4.Miteinander muß gelebt werden – hier eine Impression vom CIOFF-Festival in Wismar. mm
5.Dimitri Avramenko während einer Diskussion im Jahr 2006. (Turmblick)
6.Zuletzt besuchten Studententinnen und Studenten der Verwaltungswissenschaften aus Schwerin die Stadt. (Stadt Schwerin)

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