Interview mit der Schauspielerin Isabell Gerschke

„Ich fühle mich mit diesen Menschen sehr verbunden …“
Am Ostermontag ermittelte die neue Oberkommissarin Nora Lindner (Isabell Gerschke) an der Seite der reiferen Herren Schmücke/Schneider (Jaecki Schwarz/Wolfgang Winkler). Und sie machte dabei mehr als eine gute Figur …

Nachgefragt bei Isabell Gerschke …

Frage: Frau Gerschke, Ihren ersten Polizeiruf-Fall – als Oberkommissarin Nora Lindner an der Seite des alt-ehrwürdigen Ermittler-Duos Schmücke/Schneider in Halle/Saale-  lösten Sie mit viel Leidenschaft, Hingabe, kurzum mit viel Emotionen. Geht es bei der Lösung Ihrer sonstigen, realen  Probleme (falls vorhanden) auch stets so gefühlvoll zu ?

Isabell Gerschke, die neue Oberkommissarin Nora Lindner in Halle an der Saale.Isabell Gerschke: Ich glaube schon, dass ich dazu neige, „aus dem Bauch heraus“ zu entscheiden. Dieses intuitive Gespür hat mir schon oft geholfen, so wie auch Nora Lindner.
Wenn es allerdings allzu emotional wird, geht jedoch mitunter bei der konstruktiven Lösungssuche der Blick auf die Fakten verloren … Es kann auch mal Reibereien mit der Umwelt geben. Diese Umwege dienen mir aber in solchen Fällen dann als Lernwege, helfen beim nächsten Mal, vielleicht einen neuen Lösungsweg zu versuchen.

Frage: Im Polizeiruf 110-Fall ging es unter anderem um die Entführung eines Kindes und die Versagensängste der Oberkommissarin Nora Lindner, die durch eine missglückte Geiselbefreiung bei einem früheren Einsatz traumatisiert ist und deshalb sogar ihren Job aufgeben wollte. Nur aufgrund des Zuredens Ihrer Vorgesetzten machte sie weiter. Gab es eigentlich herbe Niederlagen und „hilfreiche Lehren“ in Ihrem Leben, die sie in die Rolle der Oberkommissarin integrieren konnten ? Wie viel Isabell Gerschke steckt eigentlich in der Oberkommissarin Nora Lindner ? Was ist ansonsten das Faszinierende für Sie an der Oberkommissarin Nora Lindner ?

Nora Lindner in Aktion – beim Polizeiruf 110 „Blutiges Geld“ am 5.April 2010.Isabell Gerschke: Ich tendiere schon dazu, mir die Figur einzuverleiben. Es steckt demnach eine Menge eigener Erfahrung in jeder Rolle, die ich verkörpern möchte –  auch in Nora Lindner.
Mich fasziniert die Möglichkeit, diesen Menschen auf längere Sicht zu entdecken, viele Facetten dieser Persönlichkeit herauszukitzeln, und in die polizeiliche Arbeit einfliessen zu lassen. – Insbesondere die Abgründe eines Menschen, die dunklen Seiten, interessieren mich. Mal sehen, was sich alles noch zeigen lässt.

Frage: Sie sind Jahrgang 1979, studierten in den Staaten und sind schon seit fast 20 Jahren in den verschiedensten Filmen zu sehen. Schon immer allergrößtes Interesse für eine schauspielerische Tätigkeit gehabt ? Oder gab es die berühmte Initialzündung, die sich genau datieren läßt ?

Isabell Gerschke: Zur Schauspielerei kam ich mit zwölf Jahren, kurz nach der Maueröffnung. Ein Film-Scout kam zu uns auf den Schulhof und fragte einige Mädchen, ob sie Lust hätten, in einem Film mitzuspielen. Ich ging aus Neugierde hin… Letztendlich bekam ich die Rolle und das war der Beginn. Vorher hatte ich nie über die Schauspielerei nachgedacht, war aber gleich „Feuer und Flamme“ und wollte meine Sache gut machen. Es hatte neben dem Spass sofort eine ernsthafte Komponente. Ich war sehr diszipliniert, was mit meiner Tanz-Erfahrung und dem unbedingten Drang, mich tänzerisch auszudrücken, einherging. Seitdem ich fünf Jahre alt bin, tanze ich und habe das auch immer weiterverfolgt: Die Leidenschaft dafür hat die Leidenschaft für die Schauspielerei angefeuert, sagen wir es mal so !

Frage: Oberkommissarin in Halle/Saale … Das hört sich ja nicht sehr reizvoll an. Zwar hat die Stadt eine bemerkenswerte Historie, aber die Gegenwart ist dort doch eher trist. Viele verfallene Straßenzüge, der realsozialistsche Verfall ist überall zu sehen, zahlreiche DDR-Bausünden und nur wenige „Leuchttürme“, wie die berühmte traditionsreiche Halloren-Schokoladenfabrik. Beschäftigen Sie sich eigentlich auch intensiv mit den Orten, an denen Sie drehen ? Wie beurteilen Sie selbst Halle an der Saale ?

Isabell Gerschke: Ich kenne die Stadt noch nicht wirklich gut, fühlte mich aber gleich wohl. Der „Ost-Charme“ blieb mir nicht verborgen … Es ist für mich aber eher angenehm, erinnert mich ein wenig an Potsdam, wo ich ja aufgewachsen bin und lebe. Wenn ich beim nächsten Fall mal ein bisschen mehr Zeit habe, lasse ich die Stadt ein wenig intensiver auf mich wirken. Im Grunde ist es nämlich toll durch die Arbeit immer wieder neue Orte kennenzulernen. Ich genieße es, diese an freien Tagen zu erkunden.

Frage: Wie schon angesprochen, hatten Sie die verschiedensten Rollen zu spielen. Welche waren Ihnen die liebsten, die intensivsten, die nachhaltigsten ?

Isabell Gerschke:
Da gibt es einige Rollen, ich sage lieber Menschen, denn die spielen wir ja und sollten es nie vergessen … In „Crash-Kids“ mitzuspielen wie in „Brennendes Schweigen“, „Warten ist der Tod“ oder „Hotte im Paradies“ – das alles war großartig, um nur einige Beispiele zu nennen. Die Frauen oder Mädchen, die ich dort verkörperte, hatten alle etwas ambivalentes, waren zerbrechlich und doch zugleich tough, wie sie das Leben so meisterten. Ich fühlte mich mit diesen Menschen sehr verbunden, denn das Leben ist nun einmal nicht eindeutig, es ist oft sogar paradox. Diese Figuren zeigen und beweisen es – jede auf ihre Weise.
Aber das Schöne an der Schauspielerei ist, immer wieder neue Charaktere zu spielen, neue Wege zu gehen, andere Sichtweisen zu entdecken. Deshalb hat mir jede Rolle, die ich spielte, etwas gegeben, wie ich ihr umgekehrt.

ARD/NDR POLIZEIRUF 110, Frage:
Frauen mischen die kriminalistische Ermittlungsarbeit schon seit Jahren im deutschen Fernsehen auf. Im Polizeiruf ermittelten bzw. ermitteln seit 1971 ein Dutzend Damen, z.B. die gebürtige Schwerinerin Katrin Saß, Andrea Sawatzki oder Angelica Domröse. Im Tatort beweisen gegenwärtig 6 Damen ihren kriminalistischen Spürsinn, so Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) in Ludwigshafen, Eva Saalfeld (Simone Thomalla) in Leipzig oder Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) in Hannover. Haben Sie Vorbilder unter diesen TV-Ermittlerinnen ? Bedarf es angesichts dieser Vielzahl an TV-Kommissarinnen nicht bald einem Gleichstellungsbeauftragten für TV-Kommissare ?

Isabell Gerschke:
Ich finde diese Entwicklung ganz wunderbar und wüsste nicht, was daran schlecht wäre. Im Gegenteil … Die Ermittlungsarbeit von Frauen ist doch oft anders als die von Männern, also bereichernd in diesem Arbeitsfeld. Somit haben wir es mit einer grossen Facette von Ermittlerteams zu tun, die alle in ihrer Art und Weise unterschiedliche Herangehensweisen und Eigenschaften besitzen. Ein Vorbild habe ich allerdings nicht. Nora Lindner wird ihren eigenen Weg finden müssen.

Frage: Frauen scheinen ja überall auf der „Überholspur“ – in der Wissenschaft, in der Politik, in der Bildung, in der Kultur und sogar bei den Olympischen sowie Paralympischen Winterspielen 2010 beherrschten die deutschen Damen Skier, Schlitten und Schlittschuhe besser als die Herren. Haben es Frauen heute gesellschaftlich nicht viel leichter ? Genießen sie eine bessere Förderung ?

Isabell Gerschke: Ich denke, es geht voran. Klar ist dahingehend schon viel passiert, insbesondere in den letzten Jahrzehnten. Aber unter der Oberfläche? … Mir kommt es schon so vor, als mahlen die Mühlen in den Köpfen manchmal noch sehr langsam.
Ob beim Gehalt in gleichen Positionen wie ein Mann – oder bei der Unterstützung in der Familie, bei der Kinderbetreuung, usw. Die Frau muss doch oft ein bisschen mehr anpacken, bis das einmal jemand honoriert.

Frage: Auch beim Mecklenburger Polizeiruf ermittelt nun eine Frau. Anneke Kim Sarnau wird in Rostock als Profilerin tätig. Kennen Sie Frau Sarnau eigentlich ? Wird man grenzüberschreitende Ermittlungen zwischen Sachsen-Anhalt und Meck-Pomm in naher Zukunft anstreben ?

ARD/NDR POLIZEIRUF 110, Isabell Gerschke: Nein, wir kennen uns leider nicht. Ich schätze sie aber sehr als Schauspielerin.
Zu gemeinsamen Ermittlungen … Zuallererst muss Nora Lindner in Halle richtig ankommen und ihren Platz finden. Vielleicht gibt es ja dann irgendwann mal so eine grenzüberschreitende Ermittlung, aber das entscheiden andere.

Letzte Frage: Ab 4.Mai findet das 20.Filmkunstfest in Schwerin statt. Waren Sie schon einmal dabei ? Werden Sie auch aus Anlass dieses Festivals einen Abstecher nach Schwerin unternehmen ?

Das CAPITOL in Schwerin – hier findet auch das XX.Filmkunstfest in Schwerin statt.Isabell Gerschke: Leider hat sich das bisher nie ergeben. Aber ich bin gern spontan, und das Festival ist natürlich einen Schwerin-Besuch wert. Eventuell ja schon in diesem Mai ?!

Dann weiterhin viel Erfolg und eine „gute Spürnase“ bei Ihren Ermittlungen sowie „auf bald“ in der mecklenburgischen „Landesmetropole“ Schwerin !

Fotos:

1.Foto: Isabell Gerschke, die neue Oberkommissarin Nora Lindner in Halle an der Saale. Aufnahme: MDR / Thomas und Thomas

2.Foto: Nora Lindner in Aktion – beim Polizeiruf 110 „Blutiges Geld“ am 5.April 2010. Aufnahme: MDR/Andreas Wünsche

3.Foto: ARD/NDR POLIZEIRUF 110, „Aquarius“, am Sonntag (2.Mai 2010) um 20:15 Uhr im ERSTEN. Katrin König (Anneke Kim Sarnau) konfrontiert Alexander Bukow (Charly Hübner) mit Fotos seiner Familie aus Rolfs Auto. Beide ermitteln ab Mai 2009 in Rostock.
v.l.: Katrin König (Anneke Kim Sarnau), Rolle Röder (Uwe Preuß) und Alexander Bukow (Charly Hübner). Aufnahme: NDR/Stefan Erhard.

4.Foto: ARD/NDR POLIZEIRUF 110, „Aquarius“, am Sonntag (2.Mai 2010) um 20:15 Uhr im ERSTEN. v.l.: Thiesler (Josef Heynert) und Katrin König (Anneke Kim Sarnau). Aufnahme: NDR/Stefan Erhard.
5.Das CAPITOL in Schwerin – hier findet auch das XX.Filmkunstfest in Schwerin statt. Michels

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