Justizministerin Uta-Maria Kuder zur Schaffung des Volksgerichtshofes

Vor 75 Jahren wurde der „Volksgerichtshof“ als Sondergerichtshof im nationalsozialistischen Deutschland geschaffen

„Die entscheidende moralische Trennlinie – das hat uns die Geschichte dieses Jahrhunderts im Übermaß gezeigt – verläuft nicht zwischen links und rechts, sondern zwischen Anstand und Ruchlosigkeit.“, sagte Bundeskanzler a.D., Dr.Helmut Kohl, am 20.Juli 1994 aus Anlass des  50.Jahrestages des Gedenkens an das gescheiterte Attentat auf Hitler und in Bezug auf den Widerstand gegen Diktaturen.

In diesem Jahr gibt es auch zahlreiche Jahrestage, die Glanz und Elend auch der deutschen Geschichte des 20.Jahrhunderts noch einmal nachhaltig in Erinnerung rufen: 1919 Wahl zur Deutschen Nationalversammlung, 1929 Zusammenbruch der amerikanischen Börse/Weltwirtschaftskrise, 1939 Ausbruch des zweiten Weltkrieges, 1939 Einrichtung des Volksgerichtshofes, Juli 1944 gescheitertes Attentat auf Hitler, 1949 Verabschiedung des Grundgesetzes, Gründung der DDR, 1949 Beginn der Kanzlerschaft Dr. Konrad Adenauers, 1969 Beginn der Kanzlerschaft Willy Brandts, 60 Jahre Bundesrepublik Deutschland allgemein oder 1989 Fall der Berliner Mauer.

Besonders nachhaltig bleibt jedoch der Widerstand gegen die diskriminierende monarchistische Gesellschaft, und vor allem gegen die nationalsozialistischen und kommunistischen Diktaturen auf deutschem Boden lebendig.

Bedeutung des Attentates auf Hitler im Juli 1944

Das gescheiterte Attentat auf Hitler im Juli 1944 war dabei ein herausragender Moment in der Geschichte gegen eine blutige Diktatur … „Die Menschen, die sich für die Bewegung des 20.Juli opferten, waren nicht nur Vorkämpfer für unser aller Freiheit. Sie waren auch die Wegbereiter der Zusammenarbeit unter Vertretern verschiedener Arten  freiheitlicher Gesinnung, ohne die keine lebensfähige Demokratie möglich ist.“, meinte der Politikwissenschaftler Richard Löwenthal im Hinblick auf die Bewegung des 20.Juli 1944, die antinazistische Kräfte aus allen politischen Lagern verband.

Graf von der SchulenburgIn Schwerins näherer Umgebung, in Tressow, wuchs einer der Widerstandskämpfer im dortigen Schloss auf: Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg. Graf von der Schulenburg wurde am 5.9.1902 in London geboren. Nach Jurastudium und Verwaltungsausbildung trat er 1932 der NSDAP bei, war u.a. persönlicher Referent eines Gauleiters, 1937 stellvertretende Polizeipräsident von Berlin und 1939 Vizepräsident im Oberpräsidium Breslau.

Der menschenverachtende Charakter der NS-Diktatur, der brutale Krieg und die grausame Besatzungsterror in den von Deutschland eroberten Ländern  waren für Graf von der Schulenburg die maßgeblichen Gründe, sich vom NS-Regime zu distanzieren (1940 Ausschluss aus der NSDAP) und gemeinsam mit Gleichgesinnten, u.a. Oberst Stauffenberg, Julius Leber, aktiven Widerstand gegen den Nationalsozialismus zu leisten. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler im Juli 1944 verurteilte ihn der Volksgerichtshof am 10.August zum Tode, er wurde noch am gleichen Tag erhängt und seine Leiche verscharrt.

Graf von der Schulenburg repräsentierte in der Zeit des nationalsozialistischen Terrors das andere, das aufrechte Deutschland.

Die Errichtung des Volksgerichtshofes 1934 – dunkles Kapitel der deutschen Rechtsgeschichte

Vor 75 Jahren wurde der Volksgerichtshof mittels Gesetz vom 24.April 1934 errichtet. Dessen Existenz war die Folge der Verärgerung Hitlers über das Reichsgericht in Leipzig, welches den bulgarischen Kommunisten Georgi Dimitrow und dessen Mitangeklagten vom Vorwurf einer Brandstiftung am Reichstagsgebäude – wegen mangelnder Beweise – freigesprochen hatte. Dabei sollte der Prozess propagandistischen Zwecken der Nationalsozialisten dienen, um eine Verfolgung Andersdenkender im „Dritten Reich“ zu rechtfertigen.

Der Volksgerichtshof war für Hoch- und Landesverrat zuständig, dabei faktisch erste und letzte Instanz. Im Laufe der Jahre wurden dem Volksgerichtshof 18000 Angeklagte vorgeführt, ein Drittel von ihnen hingerichtet, unter ihnen Beteiligte am misslungenen Attentat auf Hitler am 20.Juli 1944 oder auch die Geschwister Scholl 1943.

Gerade unter der Präsidentschaft Roland Freislers, der seit 1942 dieses Amt inne hatte, nahm die Zahl der Hinrichtungen exorbitant zu. Dessen Vorgänger Georg Thierack hielt Freisler für geisteskrank, intervenierte vergeblich gegen seinen Nachfolger bei Hitler …
Von den damaligen 577 Richtern (Berufsrichter, Laienrichter, sonstige Vertreter der Anklage) wurde niemand rechtskräftig verurteilt; die Ermittlungen zum Volksgerichtshof wurden 1986 eingestellt.

Erst 40 Jahre nach der Auflösung des Volksgerichtshofes, im Jahr 1985, wurde er seitens des Deutschen Bundestages offiziell als „Terrorinstrument nationalsozialistischer Willkür-Herrschaft“ eingestuft.

„Kein gutes Licht auf den Umgang mit den menschenverachtenden Urteilen des Volksgerichtshofs …“

Die Justizministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Eva-Maria Kuder, über die Schaffung des Volksgerichtshofes vor 75 Jahren, die Defizite bei der Aufarbeitung der Unrechtsurteile des Volksgerichtshofes nach 1945, die Unzulässigkeit des Vergleiches der NS- mit der DDR-Justiz und die Entwicklung eines demokratischen Justizwesens nach 1990 in M-V

> Frage: Welche juristischen, aber auch politischen „Lehren“ lassen sich aus Ihrer persönlichen Sicht aus der Existenz des Volksgerichtshofes ziehen ? Wie ordnen Sie die Tätigkeit der Juristen am Volksgerichtshof innerhalb der deutschen Rechtsgeschichte ein ?
Und: War die Justiz der Bundesrepublik hinsichtlich der Aufarbeitung dieses Teils der deutschen Rechtsgeschichte  „auf dem rechten Auge blind“ ? Wie ist letztendlich Ihre Ansicht zur Aufarbeitung des Justizwesen während des Nationalsozialismus nach 1949 ?

EM Kuder– Justizministerin Uta-Maria Kuder: Der Volksgerichtshof wurde als Sondergerichtshof im nationalsozialistischen Deutschland 1934 geschaffen mit dem Sitz in Berlin. Ursprünglich als Gericht zur Aburteilung von Straftaten konzipiert, die zuvor in die Zuständigkeit des Reichsgerichts gefallen waren (vor allem Hoch- und Landesverrat) wurde seine Zuständigkeit laufend erweitert. Der Volksgerichtshof konnte schließlich alle Handlungen, die der NS-Staat kriminalisiert und Sondergerichten zugewiesen hatte, an sich ziehen. Besonders unter seinem Präsidenten Roland Freisler war der Volksgerichtshof ein von rechtsstaatlichen Bindungen weitgehend gelöstes Instrument zur Liquidierung und Einschüchterung von Regimegegnern.

Der Volksgerichtshof – das ist das Gericht, welches so unbarmherzig die Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944 in den Hinrichtungstod geschickt hat. Von den rund 18.000 Verurteilten des Volksgerichtshofes, davon über 5000 Todesurteile gehören zu den „bekannten“ Namen auch Persönlichkeiten wie Klaus Bonhoeffer, Alfred Delp und Carl Friedrich Goerdeler.

Dass Urteile des Volksgerichtshofs von deutschen Gerichten nach 1945 als nicht
rechtsstaatswidrig und daher als gültig angesehen wurden, wurde als Indiz für die Unfähigkeit der deutschen Justiz zur Selbstkritik gewertet.
Bereits im Herbst 1945 forderte der alliierte Kontrollrat, die Unrechtsurteile des Hitlerregimes aufzuheben, die aus politischen, rassistischen oder religiösen Gründen erfolgt waren.

Der Bundesgerichtshof billigte 1956 den Angehörigen des Volksgerichtshofs das so genannte Richterprivileg zu, wonach keiner wegen Rechtsbeugung oder anderen Delikten verurteilt werden kann, wenn er sich an damals geltende Gesetze gehalten hat bzw. das Unrecht seines Handelns  nicht erkannt hat. Zwar gab es gegen Ende der 60er Jahre mit dem Verfahren gegen den Volksgerichtshof-Richter Hans-Joachim Rehse einen Versuch zur strafrechtlichen Aufarbeitung des durch den Volksgerichtshof begangenen Unrechts, doch verstarb der Angeklagte vor einem rechtsinstanzlichen Urteil. Die Berliner Staatsanwaltschaft erhob im Jahr 1984 Anklage gegen einen früheren Beisitzer Freislers wegen vollendeten Mordes in 62 und wegen versuchten Mordes in 35 Fällen Anklage, doch noch vor Eröffnung des Hauptverfahrens beging der 82jährige Angeschuldigte Selbstmord.

Dass erst 1985 der Deutsche Bundestag die Urteile des Volksgerichtshofs für nichtig erklärt hat und die Beseitigung nationalsozialistischer Unrechtsurteile auf Antrag durch Gesetz vom 25.5.1990 geregelt wurde, und mit Wirkung vom 1.2.1998 nationalsozialistische Unrechtsurteile  – besonders auch die des Volksgerichtshofs – durch Gesetz vom 25.08.1998 aufgehoben wurden, ist Fakt und wirft kein gutes Licht auf den Umgang mit den menschenverachtenden Urteilen des Volksgerichtshofs.
Mit Einführung des Grundgesetzes, der Verankerung einer rechtsstaatlichen Ordnung und nunmehr seit vielen Jahren praktizierten Rechtsordnung ist ein Bollwerk gegen nichtrechtsstaatliches Handeln geschaffen worden.

> Frage: Die Schauprozesse, die Freisler leitete, waren mit Hass-Tiraden und Verunglimpfungen gegen die Angeklagten begleitet. In der DDR gab es mit der Justizministerin Hilde Benjamin (Amtszeit von 1953 bis 1967), eine Juristin, die Freisler hinsichtlich Missbrauchs des Justizwesens für politische Ziele in (fast) nichts nachstand. Auch sie beschimpfte und beleidigte Angeklagte, die – in diesem Fall – gegen das kommunistische Regime aufbegehrten und deshalb verhaftet wurden.

Freisler selbst sah sich „als treuer politischer Soldat“, Benjamin sah sich als „Vertreterin der führenden Partei der Arbeiterklasse“.
NS-Justiz und DDR-Justiz – so sehr sich beide als Instrumente der damaligen Politik missbrauchen ließen: Ist ein Vergleich nach Ihrer Meinung zulässig ?

– Justizministerin Uta-Maria Kuder: Einen Vergleich zwischen dem Präsidenten des Volksgerichtshofs in der NS-Zeit und der Justizministerin Hilde Benjamin der DDR und Vorsitzenden Richterin in einer Reihe von politischen Schauprozessen in den 1950er Jahren zu ziehen, wird abgelehnt.
Das Unrecht, welches Frau Benjamin ausgeübt hat, und dessen Verarbeitung sollte für sich beurteilt und gewertet werden. Frau Benjamin war mitverantwortlich für Todesurteile in Schauprozessen gegen Oppositionelle, Sozialdemokraten und willkürlich angeklagte Personen in einem Unrechtsstaat.

> Frage: Seit 1990, 57 Jahre nach NS- und DDR-Diktatur, hat Mecklenburg-Vorpommern ein unabhängiges, demokratisches Justizwesen. Wie beurteilen Sie die Entwicklung hierzulande ? Gibt es etwas, was unter Ihrer Amtsführung noch besser gelingen soll ?

JSeidel / UM Kuder– Justiministerin Uta-Maria Kuder: Mit der Wiedervereinigung hat Mecklenburg-Vorpommern eine demokratische Grund – und Rechtsordnung, die sich seit vielen Jahren bewährt und das Vertrauen der Menschen in diesen Staat gestärkt hat. Viele Bereiche können aber auch heute noch verbessert werden: So legt das Justizministerium besondere Schwerpunkte in der Verbesserung des Opferschutzes, der Bekämpfung der Jugendkriminalität, der Bekämpfung des Rechtsextremismus und setzt sich für eine bürgerfreundliche Justiz ein.

Die Fragen stellte: M.Michels.

F.: 1. – Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg – seinen Einsatz gegen die nationalsozialistische Diktatur mit dem Leben bezahlt. (Stadtarchiv Wismar) / 2. – Seit 2006 Justizministerin des Landes Mecklenburg-Vorpommern, Uta-Maria Kuder. (Ministerium) / 3. – Wirtschaftsminister Jürgen Seidel und Justizministerin Uta-Maria Kuder. (Ministerium)

Nach oben scrollen