Nach der „Ära Kümmritz“ nun die „Ära Tietje“?!

Das Mecklenburgische Staatstheater Schwerin nach dem Intendantenwechsel… – ein Interview mit Lars Tietje

Seit dem 1. August 2016 ist Lars Tietje neuer Generalintendant am Mecklenburgischen Staatstheater, der damit die „Ära Joachim Kümmritz“ in Schwerin beendete. Neue Gesichter, neue Programme, neue Schwerpunkte und neue Ambitionen – mit dem Neuen kamen auch weitere Neue in die verschiedenen Theater-Sparten. Auch die Schlossfestspiele 2017 haben eine andere Ausrichtung. Es gibt keine weitere Verdi-Oper, kein weiteres künstlerisches „La Dolce Vita“, sondern ein amerikanisches Musical, das vor 60 Jahren seine Uraufführung erlebte, die „West Side Story“.

Lars Tietje © Silke Winkler

Wie verliefen die bisherigen Monate am Mecklenburgischen Staatstheater für den neuen Generalintendanten? Was erhofft sich Lars Tietje von den Schlossfestspielen 2017?… Marko Michels hat für Schwerin-News nachgefragt.

„Machen keine 180 Grad-Wende…“

 

Herr Tietje, Sie sind jetzt seit knapp sechs Monaten im Amt. Sind Sie noch glücklich in Schwerin sein zu können? Was lief besonders gut? Wo sind noch „Baustellen“?

Lars Tietje: Ich bin sehr glücklich in Schwerin und so wie es aussieht, wird es noch „ein bisschen“ so bleiben… Der gesamte Auftakt hier in Schwerin verlief sehr erfreulich. Das Publikum war sehr neugierig, sehr offen und hat – nach eigenem Bekunden – den neuen, frischen Wind auch wahrgenommen. Das war gar nicht so geplant, es ging und geht uns vor allem darum, gutes Theater zu machen – Theater, das eine gute Qualität hat und hierher passt. Zudem wollten wir eine große künstlerische Bandbreite anbieten und das ist uns, glaube ich, gelungen.

Was die Baustellen betrifft: Von denen gibt es an jedem Theater stets eine Menge. Zunächst gilt es, das künstlerische Niveau zu halten – gerade, wenn es so gut losgeht. Aber es gibt auch Baustellen hinter den Kulissen. Die Finanzierung ist noch nicht endgültig aufgestellt. In den nächsten Jahren haben wir dabei noch einige Maßnahmen zu ergreifen, die Strukturen anzupassen, so dass diese entsprechend zu den Finanzierungen passen. Es bestehen dazu ebenfalls Baustellen im Hinblick auf die Fusion mit dem Landestheater Parchim, bis es uns gelingt, diese Einrichtung optimal in das Mecklenburgische Staatstheater zu integrieren. Da sind noch viele Dinge zu klären.

Und wir müssen – im wahrsten Sinn des Wortes – noch einige bauliche Vorhaben realisieren. Es existieren schon einige Defizite, die mittelfristig dazu führen könnten, dass wir Arbeitsstätten nicht mehr betreiben können bzw. dürfen. Da geht es um Werkstätten, aber auch um Büros oder den Orchester-Proberaum. Diese räumlichen Mängel müssen in den kommenden Jahren beseitigt werden. Und Ähnliches gilt für die Parchimer Spielstätte.

 

Nach der langen Ära von Joachim Kümmritz bedeutete ihre Berufung auch einen radikalen Schnitt. Wie beurteilen Sie die Entwicklung des Mecklenburgischen Staatstheaters in den letzten Jahren?

Lars Tietje: Die Bewertung der Vergangenheit steht mir nicht zu. Ich habe während meiner Zeit als Intendant und Geschäftsführer des Theaters Nordhausen und der Loh-Orchester Sondershausen GmbH einzelne Entwicklungen in Schwerin nur selten wahrgenommen. Das ganze künstlerische Repertoire hatte ich seinerzeit nur marginal im Blick und kannte auch nicht detailliert das Zusammenspiel zwischen Land, Stadt und Theater. Ich kannte und kenne jedoch aus den letzten Jahren nur die Zahlen und die sind ja meistens unbestechlich. Und diese Zahlen spiegeln wieder, dass das Mecklenburgische Staatstheater in Schwerin in den vergangenen Jahren sehr bluten musste.

Man kann daran erkennen, dass das Theater seit 1994 keine Erhöhung der Zuschüsse mehr hatte. Mehrkosten, die durch Tariferhöhungen entstanden, wurden mit Personalabbau beantwortet oder durch eine Fokussierung auf wirtschaftliche Entscheidungen, die den Vorrang vor künstlerischen Entscheidungen hatten. Aber ansonsten möchte ich mich – bezüglich der früheren Entwicklung des Theaters – nicht zu weit aus dem Fenster lehnen wollen.

Ansonsten war ich nur ab und zu Besucher des Mecklenburgischen Staatstheaters, so vor mehr als zehn Jahren bei den Schlossfestspielen 2006 mit „La Traviata“. Ich schaute mir zudem vor zwölf Jahren eine „Rusalka“-Aufführung an und weilte vor vier Jahren bei einer „Anatevka“-Premiere. Das sind eher Blitzlichter des Gesamtgeschehens und zudem alles Musiktheater, was mit meiner bisherigen Tätigkeit als Intendant ausschließlich für Musiktheater zusammenhängt. Ich habe bis 2016 daher nie eine Ballett- oder Schauspiel-Aufführung in Schwerin verfolgt oder die Stücke der Fritz-Reuter-Bühne.

Was den in der Frage zitierten „radikalen Schnitt“ angeht… Ich glaube, der Wechsel ist kein „radikaler Schnitt“. Es gibt einerseits zum Teil deutliche Veränderungen, andererseits jedoch auch viel Kontinuität. Wir versuchen aktuell ganz einfach umzusteuern, wir machen aber keine 180-Grad-Wende.

 

Theater zu machen, kann in Deutschland ja auch sehr nervend sein. Geld spielt auch dort eine zentrale Rolle. Diejenigen, die es verwalten, sind dabei sehr knauserig. Wie bewerten Sie die finanzielle und personelle Ausstattung? Klappt das Zusammenspiel zwischen Stadt, Landkreisen, Kulturpolitik und Belegschaft zumindest einigermaßen?

Lars Tietje: Was das Zusammenspiel betrifft… Da kann ich noch keine endgültige Aussage treffen, denn alle Beteiligten sind ja noch in den Flitterwochen. Die Gesellschafter sind ja faktisch eine neue Ehe eingegangen. Im Moment ist das Miteinander noch sehr positiv, vertrauensvoll und respektvoll. Das heißt aber nicht, dass wir jedes Problem lösen. Das gilt vor allem für den finanziellen Bereich. Uns wurden Aufgaben gestellt, die mehr aus strukturellen als aus inhaltlichen Erwägungen eine Rolle spielen, insbesondere in der Problematik des weiteren Personalabbaus.

Das sind schon immense Herausforderung, die vor uns liegen. Es wird immer schwieriger, Arbeitsabläufe zu organisieren – gerade bei noch weniger Personal. Dafür gibt es aktuell noch keine Lösungen.

Ich versuche zwar meine Hausaufgaben diesbezüglich zu machen, aber die Gesellschafter haben derzeit auch keine Möglichkeit, bestimmte Beschlüsse rückgängig zu machen, weil es politisch einfach nicht geht. Die Kommunen haben keinen finanziellen Spielraum. Alle Beteiligten müssen sich in den kommenden Monaten und Jahren zusammenruckeln und einander zumindest annähern. Ich habe allerdings noch immer keinen ausgeglichenen Wirtschaftsplan für dieses Jahr. Das hängt alles vom Erfolg der gegenwärtigen Spielzeit ab. Wen es richtig gut läuft, kommen wir hin. Nur, das ist in einem Theater kaum planbar…

 

Mitunter geht es ja um Details… War 2016 eigentlich kein Geld mehr für einen eigenen Weihnachtsbaum vorhanden? Und: Zu einigen ausgezeichnet frequentierten Aufführungen, zum Beispiel die Weihnachtskonzerte oder „My Fair Lady“, wurden kurzfristig Zusatz-Vorstellungen organisiert. Das dürfte – abgesehen vom Publikum – bei den Beteiligten nicht immer für Begeisterungsstürme gesorgt haben.

Lars Tietje: Der fehlende Weihnachtsbaum im Theater-Foyer war eine intendantliche Entscheidung. Ich bin kein Freund von Weihnachtsbäumen in der Adventszeit, denn ein Weihnachtsbaum ist eben kein Adventsbaum. Wir sind kein Konsum-Tempel, der Weihnachts-Deko mit glitzernden Kugeln bereithalten muss. Ein Theater ist ein Gebäude der Kultur und da passt so etwas aus meiner Sicht nicht. Wenn das Publikum einen Baum möchte, habe ich nichts dagegen, aber es war, es ist mir, nicht wichtig. Ich folge ungern diesem „Kommerz-Sog“. Zudem hatten wir auch ohne Baum-Besorgung“ genügend andere wichtige Dinge zu tun…
Einen Weihnachtsbaum hatten wir dennoch. Der stand allerdings im Konzert-Foyer, weil dort ein Weihnachtsprogramm der Fritz-Reuter-Bühne lief. Das war auch angemessen. Adventszeit ist ansonsten Fastenzeit. Und Weihnachten, die Festzeit, beginnt am 25. Dezember…

Was die Zusatz-Veranstaltungen, insbesondere an den Weihnachtstagen anbelangt… Kritik habe ich eigentlich keine vernommen. Die betroffenen Orchestermusiker haben sich geäußert: „Ja, wir hatten dieses Jahr (2016) zu Weihnachten viele Dienste, das haben wir lange nicht mehr gemacht…“ Das hängt aber weniger mit der Zunahme der Veranstaltungen, als vielmehr mit der personellen Reduzierung im Bereich der Orchestermusiker ab.

Aber: Wir wissen ja, warum wir zusätzliche Vorstellungen anbieten, weil halt der Zuspruch da ist. Ich verstehe schon, dass es mitunter persönliche Befindlichkeiten gibt, aber meine Entscheidungen kann ich davon nicht abhängig machen. Meine Aufgabe ist es letztendlich, das Theater zusammenzuhalten, erfolgreich zu führen und entsprechende Einnahmen zu erwirtschaften und wenn ich sehe, dass wir noch ein Weihnachtskonzert verkaufen können, dann tue ich das auch.

Die Dienstregelungen der Orchestermusiker sind ja insgesamt angemessen Sie tragen den Bedürfnissen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Rechnung, aber auch den Bedürfnissen des Theaters. Der Tarif-Vertrag ist kein Ausbeuter-Vertrag… Auch eine Krankenschwester hat nun einmal entweder zu Weihnachten oder zu Silvester Dienst. Wenn ich derartige Berufe ergreife, weiß ich, worauf ich mich einlasse. Das gilt auch für ein Theater. Wenn andere frei haben, müssen wir Theaterleute ran. Und zu diesen Tagen, „um Flagge zu zeigen“, bin ich auch persönlich vor Ort.

 

Die Schlossfestspiele 2017 rufen… Ganz schlicht gefragt: Warum dieses Mal mit der „West Side Story“ ein amerikanisches Musical? Wird es spezielle Schweriner Innovationen dabei geben?

2016 begeisterte Verdis “Aida“ auf dem Alten Garten (Foto: © Silke Winkler)

Lars Tietje: Die Schlossfestspiele sind schon ein tolles Produkt, eine tolle Erfindung. Und was das Theater da geschaffen hat – auch aus der Not heraus, mehr Einnahmen erzielen zu müssen, um die ausbleibenden Zuschüsse zu kompensieren – ist wirklich eine Erfolgsgeschichte. In den letzten Jahr sind indes die Zuschauerzahlen stetig zurückgegangen und das führe ich nicht zuletzt darauf zurück, dass das angebotene Programm den einen oder anderen Besucher dazu animierte zu sagen: „Ach dieses Jahr gehe ich einmal nicht hin. Es ist ja auch nicht ganz billig. Wir gehen nächstes Jahr erst wieder…“

Wir brauchen jedoch eine gewisse Besucherzahl, damit die Schlossfestspiele überhaupt rentabel sind. Die Schlossfestspiele müssen aber ein „Gewinn-Bringer“ sein, das ist nun einmal auch deren Funktion. Es gilt ja auch die Strukturen der Schlossfestspiele mitzufinanzieren. Bleibt der entsprechende Gewinn aus, ist nicht einmal die Finanzierung der ohnehin immer knapper werdenden Strukturen möglich, entsteht eine Schieflage. Die Schlossfestspiele sind also zum Erfolg „verdammt“.

Des Weiteren sind die Schlossfestspiele eine Dienstleistung an der Stadt und am Land. Wir sind nun einmal damit auch ein kultureller Leuchtturm, der ja Publikum zieht und dem Mark auch eine Marke verleiht bzw. zu einem positiven Image beiträgt. Wir müssen uns sowohl wirtschaftlich als auch künstlerisch überlegen, was auch im touristischen Hinblick sinnvoll bzw. möglich ist. Wie bekomme ich Zuschauer, die vielleicht nicht ausgeprägte Theatergänger sind, in eine derartige Veranstaltung?!

Nun kam auch die Frage „Warum ein amerikanisches Musical“… Nun, deutsche Musicals gibt es kaum und das Musical an sich kommt ja aus Amerika. Leonhard Bernstein ist zudem einer der größten Komponisten des 20. Jahrhunderts. Wir reden also nicht über seichte Unterhaltung. Es handelt sich bei der „West Side Story“ um eines der erfolgreichsten und angesehensten Theaterwerke. Der Deutsche rümpft gern die Nase, wenn er Musical hört und findet alles, was mit Klassik zusammenhängt, toll. Das ist natürlich Unsinn. Es gibt hervorragende Musicals, umgekehrt auch flache. Das gilt aber genauso für Opern oder Sinfonien, die keineswegs immer facettenreich sind…

Die „West Side Story“ gehört zu den besten Musicals überhaupt. Das wird auch jeder Musiker und jeder Musikwissenschaftler bestätigen. Und vor allem ist die „West Side Story“ ein Publikumsmagnet, sie spricht ein breites Publikum an, alle Gesellschaftsschichten und Generationen. Gerade die „West Side Story“ greift soziale Probleme auf, die immer noch – oder schon wieder – aktuell sind.

Zugleich ist es auch ein Stück, zu dem man schön gekleidet gehen und zugleich sagen kann: „Es war ein schöner, niveauvoller kultureller Abend! Ein Theater, das die „West Side Story“ ansetzt, hat auf dieser Position in der Regel 50 Prozent Besucher mehr, als üblich. Deswegen war ich sehr, sehr froh, dass ich die Rechte für diese Aufführungen erhielt, was gar nicht so einfach war. Für mich ist die „West Side Story“ das Stück, mit dem ich die Chance zu einer Wende bei den Schlossfestspielen habe. Eine weitere italienische Oper hätte dazu geführt, dass noch einmal 2000 Besucher weniger gekommen wären. Ich musste da einen Kontrapunkt setzen. Hätte es mit den Aufführungsrechten nicht geklappt, offen gesagt, mir wäre kein entsprechendes Alternativ-Stück eingefallen…

Die „West Side Story“ spricht sowohl das etablierte Opern-Publikum als auch die neuen Interessierten an.

 

Bleibt der alljährliche Theaterball im Angebot des Mecklenburgischen Staatstheaters?

Lars Tietje: Der Theaterball am 28. Januar war wieder ein großer Erfolg und bestätigt, dass es richtig ist, diesen einmal im Jahr zu veranstalten. Die Gesellschaft braucht solche Höhepunkte, die auch eine Dienstleistung für die Menschen in der Region sind. Es ist zwar ein großer Aufwand, aber diesen sind wir den Theater-Interessierten und Steuerzahlern auch schuldig. Das Staatstheater bietet dafür einen einmaligen Rahmen, der woanders so in der Stadt nicht existiert.

Die wirtschaftlichen Belastungen waren akzeptabel, die Einnahmen in diesem Jahr stimmten, was in den letzten Jahren nicht immer der Fall war. Deshalb stand das Theaterfest, nunmehr Theaterball auf der Kippe. Der Bedarf, der Zuspruch zum Theaterball ist aber da, er wird also seine Fortsetzungen finden.

 

Vielen Dank für das Gespräch, weiterhin bestes Engagement für das Mecklenburgische Staatstheater und maximale Erfolge dabei!

 

Wissenswertes: Mit der „West Side Story“ verbindet sich noch ein weiteres Jubiläum… Vor 30 Jahren, bei den Eiskunstlauf-WM 1987 in Cincinnati, feierte die beste Eiskunstläuferin aller Zeiten, Katarina Witt, als „Maria“ aus der „West Side Story“ ihren dritten WM-Titel…

 

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