Vor 20 Jahren: Die Volkskammer-Wahlen in der DDR

„Verhindern wir in der Zukunft Bürokratie, Geheimniskrämerei und Denunziantentum. Hüten wir uns vor Neid und Missgunst. Üben wir Toleranz …“

Vor 20 Jahren, am 18.März 1990, fanden die ersten und einzigen freien demokratischen Volkskammerwahlen in der DDR statt. Entgegen aller Prognosen setzte sich damals die von der CDU geführte „Allianz für Deutschland“ deutlich gegen die SPD durch.

Maßgeblicher Grund dafür war die unterschiedliche Positionierung im Zusammenwachsen der beiden „Deutschländer“ innerhalb der Sozialdemokraten. Während Alt-Kanzler Willy Brandt ein Zusammenwachsen der beiden deutschen Staaten betonte („Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört !“), blieb der damalige SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine gegenüber einer engen Kooperation, ja schnellen Vereinigung mehr als reserviert.

So konnte die DDR-CDU, die Ende der 1940er Jahre bis in die 1950er Jahre noch oppositionell gegen die stalinistische Herrschaft stand, aber insbesondere seit Ende der 1950er Jahre endgültig auf SED-Kurs gebracht wurde, trotz ihrer Block-Vergangenheit die Wahl gewinnen.

Obwohl ebenfalls, wie zuvor SPD-Spitzenkandidat Manfred „Ibrahim“ Böhme, auch Ministerpräsidenten-Anwärter Wolfgang Schnur von der „Allianz“ als Stasi-IM enttarnt wurde, konnte das christdemokratisch geführte Parteien-Bündnis den Urnengang für sich als glorreichen Erfolg verbuchen.

Bei allen Parteien, bei den neu gegründeten ebenso wie bei den bereits existierenden, gab es bereits aber vor den Wahlen zur Volkskammer rege Beziehungen zu den „Schwester“parteien, das war bei den Sozialdemokraten so, bei den Christdemokraten, Grünen oder Liberalen ebenfalls.

Doch nach der Wahl ist vor der Wahl. Das galt auch für die Volkskammerwahl 1990 …
Wer glaubte, ein alter Ina Deter-Song aus dem Jahr 1982 über „die neuen Männer, die das Land brauche“, werde in der „Glasnost- und Perestroika-DDR“ Realität, wurde schnell eines Besseren belehrt.

Viele westdeutsche „Aufbauhelfer“ konnten sich ohnehin mit denjenigen, die schon vor der Wende in der DDR wenig Rückgrat zeigten, bestens arrangieren und zusammen arbeiten. Am ostdeutschen „Stammtisch“ gab es nicht zuletzt die geäußerte Erkenntnis: „Früher hatten wir nur die DDR-Kader, nach 1990 kamen viele gescheiterte West-Existenzen dazu …“

Hinzu kam nicht zuletzt, dass weiteren Kandidaten und Mitgliedern der damaligen DDR-Volkskammer weit reichende Verbindungen zur Staatssicherheit und zu den DDR-Machtzentralen nachgewiesen werden konnten.

Doch über zahlreiche Enthüllungen wurde schnell der „Mantel des Schweigens“ geworfen, man wollte auf die politisch belasteten Protagonisten in „Neufünfland“ keineswegs verzichten, um logistisch, organisatorisch und personell bei den Menschen zwischen Ostseeküste und Sächsischer Schweiz „gut aufgestellt“ zu sein.

Das galt insbesondere für die Blockparteien CDU, Demokratische Bauernpartei, die schnell von der SED an die Seite der Christdemokraten wechselte, für die LDPD oder die NDPD. Zweifellos war die Geschichte der DDR-CDU wie der Liberaldemokraten gerade zwischen 1945 und 1955 auch eine Widerstandsgeschichte gegen die stalinistische Diktatur in der DDR. Erinnert sei nur an Werner Jöhren, den CDU-Fraktionsvorsitzenden im Schweriner Landtag und späteren Leiter des CDU-Ostbüros, der gesamtdeutschen Widerstandsbewegung der CDU gegen die DDR-Diktatur, oder an den Liberalen Arno Esch, der seinen Einsatz für Demokratie und Freiheit in der sowjetischen Besatzungszone/DDR mit dem Leben bezahlte.

Aber es gab in der CDU, u.a. mit Reinhold Lobedanz oder Hans Wittenburg, oder in der LDP, u.a. mit Max Suhrbier und Horst Schomacker, führende Politiker, die ihre Partei eng an die Seite der SED führten und dafür verantwortlich sind, dass sowohl DDR-CDU als auch LDPD zu „seelenlosen Bündnispartnern“ (Zitat Kurt Schumacher) der Einheitssozialisten mutierten.

Aber auch die neuen Mitglieder und Sympathisanten der wieder gegründeten SPD von Mecklenburg bis Sachsen hatten ja ihre politischen Vorgeschichten. Darauf verweist auch der Mitbegründer der SDP in der DDR 1989, Arndt Noack, dass die Geschichte der SPD und ihrer Mitglieder nach 1945 in der sowjetischen Besatzungszone/DDR eben „nicht nur eine Widerstands- sondern auch eine Schuldgeschichte ist“.

Jedenfalls hatte die CDU in der DDR den Vorteil, mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl eine starke Persönlichkeit an ihrer Seite zu haben, der sich ohne „Wenn und Aber“ für eine schnelle Vereinigung der beiden deutschen Staaten aussprach und erfolgreich die neue Ostpolitik seiner Vorgänger Willy Brandt und Helmut Schmidt – die auf ein friedvolles Überwinden der kommunistischen Regime in Mittel- und Osteuropa zielte – eindrucksvoll und mit großem Erfolg zu Ende führte.

Da hatte es die janusköpfige SPD schwer, mitzuhalten. Während viele westdeutsche Sozialdemokraten – Ausnahme Willy Brandt – die deutsche Vereinigung als längerfristigen Prozess ansahen, wollte die Mehrheit der Sozialdemokraten in der DDR den schnellen Anschluss an die Bundesrepublik.

So viel Uneinigkeit, zumal dazu die SPD in der Bundesrepublik Opposition, in der DDR eine Wiedergründung war und ihr somit nur wenig Gestaltungsmöglichkeiten zugetraut wurden, kam beim Wahlvolk nicht an.

Wie meinte ein Christdemokrat 1990 nach der gewonnenen Volkskammerwahl: „Wir hätten auch einen Besenstiel als Spitzenkandidaten aufstellen können und hätten die Wahl dennoch gewonnen.“

Unvergessen bleibt auch die mediale Enttäuschung des ehemaligen Grünen und damals neuen Sozialdemokraten Otto Schily im ZDF am Abend der Volkskammerwahl 1990, als er eine Banane in die Fernsehkameras hielt und damit – auf seine spezielle Art – darauf aufmerksam machen wollte, wonach die DDR-Bürger in der Mehrheit entschieden hatten.
Ging es damals wirklich eher um Freiheit und Demokratie oder um Wohlstand, „Bananen“ und harte Währung ?!

Beides war der Fall. Trauriges Fazit bleibt jedoch, dass die mutigen Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler, die weit vor dem Ende der DDR für Freiheit und Demokratie eintraten, oft bespitzelt, drangsaliert, verhaftet und gedemütigt von den „DDR-Sicherheitsorganen“ vor 1990, schnell ins politische Abseits gedrängt wurden.

Dennoch, trotz aller Widrigkeiten: Mit der DDR verschwand eine deutsche Diktatur, die sich auf die Bajonette der Roten Armee, auf einen kriminell agierenden Geheimdienst und auf ein Block-Regime stützte und jeden Demokratie-Willen, jede Kreativität, jede Individualität zerstörte, von der politischen Landkarte. Als die Volkskammer mehrheitlich – aufgrund des Wähler-Votums – letztendlich den Beitritt zur Bundesrepublik beschloss, hatte sie ihre Aufgabe erfüllt.

Resümee danach: Der real existierende Sozialismus, auch in der DDR, hatte den Kalten Krieg, den Wettstreit mit den Demokratien westlicher Prägung verloren.
Der real existierende Kapitalismus hatte jedoch den Kampf gegen den real existierenden Sozialismus allerdings  auch nicht gewonnen, was vielen „Kalten Kriegern“ in den Vereinigten Staaten oder im Westteil des vereinten Vater- und Mutterlandes erst spät, viel zu spät, bewusst wurde bzw. wird.
Wie meinte nach 1990 Peter Jessel, Mitglied des Museumsbeirates Hagenow, in seinem Aufsatz über den Landrat des Landkreises Hagenow 1945, Bernhard Pfaffenzeller, der wegen seiner demokratischen Gesinnung 1949 durch die russische Besatzungsmacht verhaftet wurde und 1950 im Lager Solikamsk im Nordural umkam:„ … Wie halten wir es nun nach der `Wende` mit den Opfern der kommunistischen Tyrannei ? Diese Toten klagen an. Es gebietet die Achtung vor den Leiden dieser Frauen, Männer und Jugendlichen, dass sie die späte Rehabilitierung und Ehrung erhalte, die wir auch den Opfern der Nazi-Tyrannei erweisen …
… Achten wir (also) die errungene Freiheit. Verhindern wir in der Zukunft Bürokratie, Geheimniskrämerei und Denunziantentum. Hüten wir uns vor Neid und Missgunst. Üben wir Toleranz und wiederholen wir nicht die Fehler der Vergangenheit. Zwei blutige Diktaturen in einem Jahrhundert reichen unserem deutschen Volk.“

Marko Michels

> > Anmerkungen zur Volkskammerwahl 1990:
Die Wahlbeteiligung an der Volkskammerwahl 1990 betrug 93 Prozent. Die CDU kam auf 40,8 Prozent der Stimmen. Die weiteren Parteien in der CDU geführten „Allianz für Deutschland“ bekamen 6,3 Prozent (Deutsche Soziale Union) und 0.9 Prozent (Demokratischer Aufbruch). Die SPD erreichte 21,9 Prozent. Der Anteil der PDS betrug 16,4 Prozent. Der Bund Freier Demokraten musste mit 5,3 Prozent der Stimmen zufrieden sein. Das Ergebnis für die Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler vom Bündnis 90: 2,9 Prozent. Ministerpräsident einer „Allparteienregierung“ u.a. aus Christdemokraten, Sozialdemokraten und Liberalen wurde Lothar de Maiziere.

Abgeordnete der ersten und einzig frei gewählten Volkskammer waren beispielsweise der spätere  erste frei gewählte Ministerpräsident in M-V nach 1945, Prof. Dr. Alfred Gomolka (CDU), der spätere Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Joachim Gauck, der spätere Landwirtschaftsminister in M-V, Till Backhaus, der Vorgänger von Lothar de Maiziere im DDR-Ministerpräsidenten-Amt, Hans Modrow (PDS), und der heutige Bundestagsabgeordnete Hans-Joachim Hacker aus Schwerin.

Foto: „Wir sind ein Volk“ – Losung aus der Wende-Zeit 1989/90. Haus der Geschichte

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